Münze und Klinge
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 Die Geschichte der großen Schwester

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Ameley
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BeitragThema: Die Geschichte der großen Schwester   Die Geschichte der großen Schwester I_icon_minitimeFr Jun 07, 2013 11:15 pm

„Amimi, ich will auch mal!“
„Lass los, das ist meiner!“
„Gar nich, der gehört Papa!“
„Aber jetzt hab ich ihn, also lass los, sonst treff ich nicht.“
„Aber ich will auch mal!“
„Der ist noch viel zu groß für dich.“
„Aber ich will....“
Das kleine Mädchen hing am Ärmel ihrer größeren Schwester und zupfte wild daran herum, die andere Hand umklammerte einen Teddybären. Die ältere Schwester hielt einen Bogen in der Hand und zielte auf eine selbstgemalte Zielscheibe auf dem Stamm einer nahegelegenen Fichte. Sie brauchte gar nicht lange zielen, als die Jüngere einen Augenblick stillhielt, da suchte der Pfeil sich bereits sein Ziel und schlug mit einem dumpfen Geräusch ins Holz ein. Der bullige Mastiff neben ihnen hob bei diesem Geräusch träge den Kopf und ließ ein leises Brummen ertönen, ehe er das sabbrige Maul wieder müde auf dem nassen Gras platzierte.
„Das war nicht ins Schwarze, das war grademals Gelb“ höhnte Verdila von unten her, was Ameley lediglich ein genervtes Schnauben entlockte.
„Das ist genau am Übergang, Blindfisch. Kannst es eh' nicht besser.“
„Du lässt mich ja nicht“ patzte die Kleine wieder.
„Jetzt hör' auf mich zu nerven, oder dein blöder Bär ist gleich die Zielscheibe!“
Der letzte Satz trieb der 6-jährigen die Tränen in die Augen und sie lief davon, den leicht schmuddeligen Stoffbären an ihre Brust gepresst. Ihre große Schwester blieb allein zurück mit Bogen und Hund, ächzte leise und pustete sich die schwarzen Haarsträhnen aus dem Gesicht. Das würde wieder Ärger geben, das war klar. Dila würde petzen, dass sie wieder mit dem Bogen gespielt hatten und obendrein würde sie für die Drohung mindestens den Arschvoll kassieren. Herrlich.
Um sie herum kündigten einige tickende Geräusche den Regen an. Nichts unübliches, in Gilneas regnete es oft, aber leider ein Grund dafür nach Hause zu gehen und den Ärger früher als spät abzuholen. Sie schulterte den Holzbogen und gab einen leisen Pfiff durch die Zähne von sich. „Komm Toad, wir gehen uns 'ne Strafe abholen.“
Der Mastiff grunzte und wuchtete den klobigen Körper vom Boden des kleinen Hains, trottete seinem Frauchen hinterher.

Ameley öffnete die Augen, als der Karren über einen Stein holperte und sie unsanft aus ihren Träumen riss. Kurz starrte sie auf die Blätter der Baumkronen über ihr, die gemächlich vorbeizogen, während der Ochsenkarren sich weiter seinen Weg voran rumpelte. Träume von der Zeit damals, wie so oft. Das Mädchen legte beide Hände vor die Augen und wischte die beschämende Nässe aus ihren Augenwinkeln. Verdila würde diese Schwäche niemals zu sehen bekommen, die sie jedes Mal ergriff, wenn das Unterbewusstsein sie zurücktrieb zu den Augenblicken, in denen die größte Sorge ein Klaps auf den Hintern und frühes Zubettgehen ohne Abendbrot war.
Die Zeit allerdings war vorbei, für immer. Es gab keine Eltern mehr und ihre Strafe war mit ihnen gestorben. Dazu das Zuhause, die Stadt, das komplette Heimatland.
Neben ihr gab Verdila ein leises Murmeln von sich und drehte sich unter dem zur Decke umfunktionierten Jutesack auf die andere Seite.
Ein kurzes, mütterliches Lächeln überflog Ameleys Gesicht, während sie die Jüngere betrachtete, wie sie schlafend dalag und womöglich grade die selben Träume durchlebte, die sie selbst eben vor Augen hatte. Der Tag an dem Verdila eben nicht gepetzt hatte, sondern bereits mit großen Augen wieder aus der Haustür gelaufen kam, als Ameley im Nieselregen daheim eintraf, und freudestrahlend verkündete, dass es Apfelkuchen gäbe, sobald ihr Vater heimkam. Der Geschmack von Mutters Backkünsten schien in das Leben einer vollkommen anderen Person zu gehören. Einer Person, die alldas nicht gesehen hatte und erlebt hatte.
„Wo sind wir grade?“ Die Frage galt dem beleibten, zur Glatze neigenden Bauern, der vorne auf dem Kutschbock des mit überwiegend Korn beladenen Karren saß.
„Wir sin' gleich 'n Elwynn.. müsster oofpassn, dass euch kenner vom Waje klaut, ne Mädl's?!“ Der Kerl lachte über seinen eigenen Scherz und Ameley stimmte mit ein, während sie sich wieder von dem fröhlichen Kerl abwendete und ihm im Stillen die Pest an den Hals wünschte, hauptsache, er würde sie nicht weiter mit seiner guten Laune bewerfen.
Ihre kleine Schwester schniefte leise. Ameley würde sie schlafen lassen, solange sie noch nicht am Ziel ihrer Reise waren. Sturmwind.
„Sturmwind“.. ihr Vater hatte, nach einigen großen Krügen beliebigen Alkohols, ab und an Sätze im Zusammenhang mit diesem Wort fallen lassen, und keiner von ihnen war in einem wohlgesonnenen Tonfall gesprochen worden. Allerdings war selten etwas wohlgesonnen betrachtet worden, das außerhalb der Grenzen Gilneas' gelegen war.
Schwer musste die junge Frau schlucken, um das Brennen aus ihrem Hals zu vertreiben, welches die Erinnerungen an ihren Vater, wie er sich in seinem knautschigen Sessel fläzte und seinen Feierabend genoss, hervorrief.
„Reiß' dich zusammen, verdammt..“ , murmelte sie, ermahnte sich selbst, nicht in Trauer um etwas zu zerfließen, das lange zurück lag und unwiderbringlich dahin war. Anstatt wie ein weichliches Kammermädchen zu flennen, sollte sie ihre Kräfte sparen, für das, was sie noch erwarten möge. Elwynn sollte nicht direkt das sicherste Fleckchen in den östlichen Königreichen sein, die Geschichten über Hunger, Krieg und Katastrophen mochten ihren Teil noch dazu beitragen, dass zwei Mädchen sich aus der dicht bewaldeten Gegend fernhalten sollten. Sturmwind als Metropole der menschlichen Völker sollte zwar weitaus sicherer sein, was plündernde Diebesbanden anging, aber wer weiß, was sich in den Hinterhöfen abspielte, sobald die Sonne untergegangen war? Nein, sie machte sich keine Illusionen darüber, dass es viel sicherer sein sollte, wenn sie sich wieder hinter den Mauern einer Stadt befanden, aber zumindest das Überleben sollte einfacher sein, nicht zuletzt der Jahreszeit wegen. Obwohl der angehende Winter vermutlich bisher zu der milderen Sorte gehören mochte, bestand nach wie vor die Gefahr, dass ein unerwarteter Frost das Land heimsuchte, und dann noch im Wald zu sein, mit nichts weiter, als einem kleinen Feuer und den Kleidern am Leib, wäre, als würden sie den Tod persönlich um ein kleines Stelldichein bitten.
„Wie weit ist es noch bis zur Stadt?“ Die Frage galt wieder der glatzköpfigen Spaßbombe auf dem Kutschbock. „Kann'sch noch um'n paar Stund'n hanneln.. zwee wern's sicher sein.“
Nutzloser Weise, da die Augen des Wagenführers nach vorne auf den breiten Hintern seines Ochsens gerichtet waren, nickt Ameley und legt sich wieder lang hin, den Kopf auf einem der Kornsäcke bettend und zum vorbeiwandernden Blätterdach hinaufblickend. Zwei Stunden.. die Zeit würde sie nutzen, um den mangelnden Schlaf der vergangenen Tage wenigstens im Ansatz wieder aufzuholen. Sie schloss die Augen wieder, blinzelte allerdings, als einmal mehr Bilder aus vergangenen Zeiten im Dunkel der geschlossenen Augen Gestalt annahmen. Bilder, die sie im Augenblick nicht sehen wollte und mit derer Verarbeitung sie sich befassen würde, wenn das Leben wieder halbwegs geregelte Bahnen eingeschlagen hätte. Vielleicht also nie, wer wusste das schon. Nichts war mehr klar, wirklich rein gar nichts.. am wenigsten die Zukunft.

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BeitragThema: Re: Die Geschichte der großen Schwester   Die Geschichte der großen Schwester I_icon_minitimeSa Jun 08, 2013 12:36 am

Es regnete.
Zumindest etwas, das dieser Tage in Gilneas zur Normalität gehörte.
Die Stiefel des Mädchens patschten durch die Pfützen, die noch nicht ihren Weg in die Kanäle gefunden hatten und die grünen Augen eilten suchend durch die Umgebung. Neben ihr lief der hellgraue Mastiff, eher treu als nützlich und sah das Gehetze durch die Straßen offenbar als Spaziergang der anderen Art an.
Dok Ebdon war nicht daheim gewesen, die Praxis war verwaist und dunkel, von den Nachbarn hatte niemand aufgemacht, geschweigedenn, dass sie gewusst hatten, wo der Dok sich derzeit befand.
Und dabei brauchten sie doch ums Verrecken einen Arzt.
Verdila war am Vortag mit einer Bisswunde am Bein heimgekommen. Wirres Zeug hatte die Jüngere gefaselt von einem gewaltigen Monster, langen Klauen und riesigen Zähnen, das sie angefallen hatte, allerdings von ihr abließ und verschwand. Aufrecht wie ein Mensch solle es gegangen sein und Überreste von Kleidung am Leib getragen haben.
Schwachsinn, vermutlich war es nur ein streunender Mastiff gewesen oder ein Worg. Doch was auch immer es gewesen war, die 12-jährige war wärend der Nacht einem heftigen Fieber unterlegen, hatte Alpträume, wenn sie schlief und wandt sich in Schmerzen, wenn sie wachte.
Fast panisch hatte die Mutter schließlich den Dok holen wollen, doch Ameley hatte sich den Köcher mit Pfeilen, sowie den Bogen des Vaters gegriffen und war zur Tür hinausgeeilt, noch ehe sie hätte aufgehalten werden können.
Seit die mysteriöse Mordserie begonnen und zugenommen hatte, war eine Frau, deren Lebensinhalt darin bestand zu kochen und zu putzen des Nachtens in den Gassen noch schlechter aufgehoben, als ihre 16-jährige Tochter.
Und Vater war seit etwa zwei Wochen spurlos verschwunden.
Als Teil einer Wacheinheit, die sich um die Untersuchung der Morde zu kümmern hatte, war Brenold Maceál eines Tages nicht mehr von seiner Patroullie zurückgekehrt. Drei weitere Männer seiner Einheit ebenfalls.
Was auch immer Vorgefallen war, sie würden nicht auch noch Verdila verlieren.
„Such doch den Dok, du blöder Hund... such!“ giftet Ameley von oben auf den Mastiff herab, ehe sie um die Ecke bog und hart einen Passanten striff der in einen dicken Regenumhang gehüllt war. Eine Entschuldigung nuschelnd, fuhr sie herum, um zu schauen, wen sie da über den Haufen gerannt hatte.
„Pass doch auf!“ patzte der Fremde, ehe ein böser Blick Ameley traf und die Gestalt weiter eilte.
Nicht ungewöhnlich dieser Tage, dass die Leute gereizt reagierten, dennoch fluchte sie dem Mann noch hinterher, dass ihre Mutter längst die Seife gezückt hätte, um ihr den Mund auszuwaschen.
Trotz ihrer aufkeimenden Wut hatte sie der Aufprall zum Stehenbleiben veranlasst.
Von irgendwo jenseits der Kathedrale waren Schüsse zu hören. Schüsse, wie sie schon den ganzen Abend ertönt waren, immer mal wieder in unregelmäßigen Abständen.
Noch war das eher unwichtig. Im Händlerviertel, wo ihr Haus stand, war es den ganzen Abend ruhig gewesen, abgesehen von ein paar unerkenntlichen Schemen von Leuten, die ab und an in einer Seitenstraßen verschwanden. Nachteulen und Tagediebe, die sich sonst am Platz aufhielten, und die angesichts der Schusswechsel in den besser gestellten Händlerdistrikt flohen, waren nichts ungewöhnliches. Wer war schon gerne dort, wo Rückstände der Rebellen zusammengetrieben wurden?
Sie wandte den Blick gen Himmel und wanderte im Geiste abermals das Gassennetzwerk von Gilneas ab und strich jene ab, die sie bereits durchsucht hatte.
Doktor Ebdon war nirgends gewesen, weder in den beleuchteten Häusern, noch hatte sie sein Pferd irgendwo stehen sehen.
Es hatte vor kurzem erst zur elften Stunde geläutet und sie stand abermals vor dem Haus des Arztes, das nach wie vor leer und dunkel vor ihr lag. Einmal mehr wurde die Tür mit den Fäusten bearbeitet und zu den Fenstern hinaufgerufen, doch nichts rührte sich, abgesehen von dem Regen, der stetig und ungnädig auf sie hinabfiel.
Selbst der Gang zur Wache hatte ihr nichts eingebracht, denn dort hatte man ihr mitgeteilt, dass entgegen aller Hoffnungen, ihr Vater noch nicht wieder aufgetaucht sei. Was hatte sie auch erwartet? Wunder gab es nicht, genau so wenig, wie einen verdammten Arzt in Reichweite.
Im Augenblick blieb ihr lediglich noch übrig, heimzukehren und nachzusehen, ob das Schicksal den Arzt an ihrem Zuhause vorbeigetrieben hatte und er ihre Schwester womöglich schon behandelte. Eine Schwache Hoffnung, aber die einzige Alternative wäre gewesen, in die Richtung der Schüsse zu laufen und dort nachzusehen. Und wenn der Dok dort war, hatte er sicherlich andere Sorgen, als ein Kind mit Fieber.
Die Haare, das Gesicht und die Kleidung durchnässt vom Regen, wandte sie sich wieder dem bulligen Mastiff an ihrer Seite zu.
„Toadwart, komm“.

Die Geschichte der großen Schwester Gilnea10

Die Suche aufzugeben, schickte ein Gefühl von Müdigkeit durch ihre Glieder. Es mussten Stunden vergangen sein, seit sie sich auf den Weg gemacht hatte. Mit dem widerwärtigen Gefühl, versagt zu haben, trottete sie durch die nassen Straßen zurück, den Blick gesenkt und den Bogen geschultert.
Hätte sie aufgesehen, wäre ihr vielleicht die Leere der Straßen aufgefallen, die trotz des strömenden Regens und der späten Stunde ungewöhnlich vorangig herrschte, dafür, dass sie eines der am meisten bewachten Viertel von Gilneas betrat. Ebenso wäre ihr der breite Streifen Licht aufgefallen, der sich aus der Tür ihres Hauses, über die Straße ergoss.
Die Tür stand offen, Ameley blieb davor stehen, starrte in den Eingangsflur ihres Zuhauses.
Sie stand da und starrte, während ihr Verstand zu begreifen versuchte, was an diesem Bild nicht stimmte. Das Bild einer sich im Wind wiegenden Tür, und ein Hausflur dahinter, dessen Beleuchtung sich in einer nassen Spur aus tiefem Rot wiederspiegelte, die sich von der Schwelle um die Ecke zum Wohnraum zog.
Toadwart neben ihr fiepte und trat unruhig auf der Stelle.
Während ihr Verstand noch versuchte, den unvorhergesehenen Moment zu verarbeiten, langten die zitternden Finger ihrer linken Hand in den Köcher mit Pfeilen, zogen einen heraus und spannten ihn in die Sehne des Bogens.
Sie trat über die Schwelle, den Bogen halb gespannt und Toadwart an ihrer Seite, der die Nase auf den Boden legte, und das Blut, das sie als solches erkannte, aufzulecken begann.
Nach und nach schob sie sich vor. Schweiß trat auf ihre Stirn und Hände, in der Angst vor dem, was sie sehen würde, sobald sie der Spur um die Ecke gefolgt war.
Sie hielt inne, den Mund halb geöffnet und zitternd nach Luft ringend, während eine Anzahl an Geräuschen an ihr Ohr drangen. Laute, als ob Stoff zerrissen würde und darunter gemischt ein Knacken. Die bebenden Lippen schlossen sich und Ameley schluckte hart den sich bildenden Kloß im Hals und überwandt den Impuls, sich umzudrehen und in Panik die Flucht zu ergreifen.
Irgendetwas war hier drin, zusammen mit ihrer Schwester und ihrer Mutter, und sie musste wissen, was das war.
Mit ihrem ganzen Mut, trat sie den letzten Schritt vor und richtet den Pfeil in den Wohnraum, erbleichte bis zur Gänze des Möglichen, noch bevor sie vollkommen begriff, was sie dort vor sich hatte.
Ihre Mutter lag auf dem Boden, die Kaskade ihres blonden Haares erstreckte sich über die polierten Dielen, bis über den Fellteppich, der vor dem Kamin auslag. Die blauen Augen in ihrem nur langsam gealterten Gesicht, starrten leer an die Decke. Ameleys Blick löste sich von den nur leicht geöffneten Lippen und blieben an dem hängen, das unterhalb des Halses lag. Dort, wo der Brustkorb hätte sein müssen, klaffte ein Loch, aus dem sich Rippen hervorreckten, wie blutige Finger, die von Fetzen lose herabhängenden Fleisches verbunden wurden. Die Arme der Frau lagen lang ausgestreckt seitlich neben ihr, die rechte Hand streckte sich dem Mädchen entgegen. Der Boden um den leblosen Körper herum, war getränkt von Blut, in dem sich die Flammen des Kamins zu einem bizarren Tanz wiederspiegelten.
Doch das Grauenerregenste war das, was über ihrer Mutter aufragte, seine linke Pranke auf deren Oberschenkel abgelegt hatte und weitere Fleischfetzen aus der Bauchhöhle des Körpers riss.
Ein Wesen, wie es dem Alptraum von Kindern und den Sagen und Legenden der Älteren entsprang, wie sie früher am Kaminfeuer erzählt wurden, um der jüngeren Generation die Angst davor einzubläuen, sich nach Anbruch der Dunkelheit noch Draußen aufzuhalten.
Ein Wesen, wie Verdila es vor einer gefühlten Ewigkeit beschrieben hatte.
Ameley wich lautlos ein paar Zentimeter zurück, während Panik in ihr aufstieg. Doch noch bevor die auch nur einen halben Schritt hätte tun können, drang ein, wie sie empfand, ohrenbetäubendes Winseln an ihr Ohr, als der Mastiff an ihrer Seite die Idee mit der Panik aufgriff und jaulend in die Nacht verschwand.
Es hätte weniger bedarft, um die Aufmerksamkeit der Monstrosität auf Ameley zu lenken, die nun aufschaute, jedoch noch überrascht wirkte und daher über dem Leichnahm der Mutter verharrte.
Ameley spannte die Sehne und wollte den Pfeil in die Schnauze des Monsters jagen, ehe etwas an diesem Anblick sie erstarren ließ.
Von Armen und Brustpartien hing in Fetzen etwas, das sie als das rote Kleid erkannte, das Verdila getragen hatte, als sie sie im Bett liegend zurückgelassen hatte.
Ameley ließ den Pfeil mit bebenden Händen sinken, starrte das worgähnliche Monster nur an, das mit seinen dunklen Augen über der bluttriefenden Schnauze zurückstarrte.
Es gab Gerüchte, Sagen, Legenden über Menschen, die sich nach Bissen in Monster verwandelt hatte und nicht mehr sie selbst waren. Sie hatte einige davon gehört und gerne gehört, doch nun war sie offenbar mittendrin in einer. Sie konnte nicht schießen, sie hätte in jedem Falle getroffen auf diese Entfernung, doch etwas hielt sie zurück.
Wenn das Verdila war, konnte sie es nicht tun, unmöglich.
„Verdila?“
Das Wort kam heiser und hoch über ihre Lippen. Es war weniger eine Frage, denn ein Flehen.
Das Wesen gab einen tiefen Grolllaut von sich, rührte sich jedoch nicht weiter, abgesehen von einem Faden aus Speichel und Blut, der sich vom Maul herabseilte.
Ameley ließ dich Waffe weiter sinken, schickte ein Stoßgebet zum Licht, dass es sie beschützen möge, dass es noch eine Hoffnung gäbe und in diesem Wesen noch genug von ihrer Schwester stecken mochte, um diese zu erreichen.
Ohne, dass es Anzeichen einer Vorbereitung gab, sprang das Wesen plötzlich über den Kadaver hinweg und stürzte sich auf Ameley. Der erschrockene Aufschrei ging nahtlos in einen schmerzerfüllten über, als sich die Fangzähne in ihre Hüfte bohrten.
Von der schieren Wucht des Aufpralls zurückgeworfen, landete das Mädchen hart auf dem Boden, verlor ihre Bewaffnung, als sich Pfeil und Bogen ihrem Griff entwanden und sah den Schatten, der über ihr aufragte.
Sie schloss die Augen, überwältigt von Panik, Schmerzen und der Gewissheit, dass sie hier sterben würde, …

Die Gilneerin riss die Augen auf und griff instinktiv nach dem Messer an ihrem Gürtel, erfasste kaum den Griff, als sie auch schon ihrer Umgebung gewahr wurde. Der rumpelnde Karren, das vorbeiziehende Blätterdach, ihre schlafende Schwester neben sich und einem singenden Bauerntrampel auf dem Kutschbock.
Der Himmel über den Bäumen war ein wenig dunkler als zu ihrem letzten Wachmoment, weswegen sie vermutete, dass sie etwa eine Stunde geschlafen hatte.
Sie hob den Kopf und spähte über die Kornsäcke hinweg in die Gegend, konnte aber nur Bäume und Pfad ausmachen, die der Ochsenkarren zurückgelegt hatte.
Mit dem Gefühl, sie hätte die Strecke durch die Straßen von Gilneas tatsächlich zurückgelegt, anstatt zu schlafen, legte sie den Kopf wieder zurück und schloss nach einigem Blinzeln erneut die Augen.
Verdila war in dieser Nacht verschwunden und Ameley hatte sich, noch benommen von Schmerzen und Angst, in den Schlafraum der Schwestern geschliffen.
Sie hatte die Tür verriegelt und war vor ihrem Bett zusammengesunken, ihre Bettdecke auf die Bisswunde an ihrer rechten Hüfte gedrückt.
Der Biss hatte unvergleichlich geschmerzt, war jedoch nicht bis in tödliche Tiefen vorgedrungen, und nur eine schemenhafte Erinnerung angesichts dessen, was die nächsten Stunden ihren Körper heimgesucht hatte.
Das, was ihre Schwester an Symptomen vorgewiesen hatte, war nur ein Bruchteil dessen, was der Fluch, wie sie es heute nannten, durch ihre Glieder gejagt hatte.
Schmerzen und Fiebergefühle wechselten sich im Laufe der unzählbaren, zähen Stunden mit Panikattacken ab, während das unzuweisbare Gefühl von Wut immer wieder in ihr Bewusstsein drang.
Immer wieder versank sie in Träume.
Oder wachte sie?
Ein Schatten vor ihren Augen. Eine Hand, die nach ihr Griff, nur um sie wieder fallen zu lassen.
Schwärze, Schatten, Wut.
Sie würde sich wandeln, sie würde Menschen töten. Sie musste es verhindern.
Ihre Augen suchten im Fiebertraum das Zimmer ab. Schnell, tödlich, schmerzfrei. Irgendetwas musste es geben, um diesem Wahnsinn ein Ende zu bereiten.
Die Welt versank erneut in Schwärze und Schmerzen.
Sie würde sich diesem Alptraum nicht überlassen. Menschen töten oder sie infizieren, wie ihre Schwester es getan hatte. Sie war ein Mensch und kein Monster.
Dies sollte der letzte klare Gedanke sein, den Ameley Maceáls Geist zustande brachte, jeder weitere verschwand im Nebel und einem erdrückenden Gefühl.
Hunger.

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BeitragThema: Re: Die Geschichte der großen Schwester   Die Geschichte der großen Schwester I_icon_minitimeDi Jul 16, 2013 9:35 pm

„Gruppe Eins geht, sobald die Reiterstaffel wieder vorbei ist, Gruppe Zwei wird folgen, sobald Gruppe Eins durch ist. Gruppe Drei wartet wieder die Reiterstaffel ab. Bewegt euch möglichst unauffällig, wartet lieber einmal mehr, alsdass ihr euch hektisch bewegen müsst, darauf reagieren sie verstärkt UND BRINGT UM HIMMELS WILLEN DIESES BLÖDE BLAG ZUM SCHWEIGEN!“
Brian Filldan kniete am Boden und zeichnete mit einem Stock kleine Furchen in den Dreck, wies auf verschiedene Wegpunkte und zeigte ab und an auf die Führer jener Gruppen, die sich aus der Ansammlung von vierzehn Gilneern ergab, die diese gewagte Art der Flucht wahrzunehmen gedachten. Eine von ihnen, eine beleibte Mutter, die Ameley nicht kannte, versuchte mit Gewippe und Gesumme, den kleinen Drops von einem Baby in ihren Armen zum Schweigen zu bringen, der seit rund zehn Minuten der Umgebung seinen Unmut in Form von Geplärre mitteilte.
Hier würde es kaum jemand hören, doch bei ihrem Vorhaben, könnte ein schreiendes Kleinkind den Tod der ganzen Gruppe bedeuten. Ein Grund, weswegen Ameley das Kleinkind mitsamt der übergewichtigen Alten am liebsten den Langohren in die Hände gedrückt hätte, dazu einen schönen Gruß und viel Glück, wenn es darum ging, der Seestreitmacht der lebenden Leichen zu entkommen.
Doch der jüngere der Filldan-Brüder, Eric, hatte sich dagegen ausgesprochen.
Anstatt mit den Elfen per Schiff über das Meer aus Gilneas zu fliehen, hatten sie vor den Ansturm der Untoten ins Landesinnere zu nutzen, um durch einen Riss im Wall zu entkommen. Direkt durch die Frontlinien des Feindes sozusagen. Unerwartet, ungesehen und mit Süderstade als Ziel.
Süderstade. Eric und Brian hatten diesen Namen oft in ihren Erzählungen über Hoffnung und einen Wiedergewinn der Heimat erwähnt, nachdem der Wall gebrochen und die Untoten in das Land eingedrungen waren. Eine Verwandte, wievielten Grades auch immer, lebte dort angeblich von ihnen und auch, wenn der Kontakt über Brieftauben vor einiger Zeit abgebrochen war, hielten sie an dem Glauben fest, dass Süderstade und die umliegenden Dörfer nach wie vor nicht aufhörten, den Leichen das zweite Leben so schwer wie möglich zu machen. Namen wie Mühlenbern und Lohenscheidt waren ebenfalls gefallen und Ameley, sowie ihre Schwester und die anderen hielten an der Hoffnung fest, dass von dort Hilfe zu erwarten war. Dass der Bruch des Walls nur ein Rückschlag war, den die vereinte Kraft der menschlichen Völker bald wieder ausmerzen würde.
„So, ihr beiden, wir sind zusammen in Gruppe zwei, schnappt eure Sachen und haltet euch bereit.“ Eric tauchte zwischen Ameley und Verdila auf und platzierte jeweils eine Hand auf den Schultern der Schwestern. Das Grinsen unter dem Blondschopf erzählte etwas von neuem Mut, eine Eigenschaft, die er seit sie sich begegnet waren, immer an den Tag gelegt hatte und derer wegen er sich Ameleys Zuneigung nurmehr gesichert hatte.
Um die Schultern trug er stets einen teuren, aus zwei paar Hörnern gefertigten Bogen. Irgendein Meisterwerk des Handwerks, das zuvor Mister Filldan Senior gehört hatte und der es nun definitiv nicht mehr brauchen würde.
Eric und Brian waren die letzten Überlebenden einer vielköpfigen Familie, die nach dem Wiedererlangen ihrer geistigen Freiheit nicht wieder vollständig zusammen gefunden hatte.
Sie selbst und ihre Schwester, hatten sich nur kurz danach wieder gefunden und sich nach einigen Komplikationen den Filldans und einigen anderen angeschlossen.
„Und ihr seid euch echt sicher, dass Süderstade uns aufnehmen wird?“
Diese Frage war in den vergangenen Stunden gefühlte zweitausend Male von verschiedenen Leuten gestellt worden, weswegen Eric Verdila mit einem leicht mahnenden Blick strafte, allerdings durchatmete und ihr väterlich den Schopf zerwuschelte.
„Keine Sorge, Dila, die Hügelländer sind fast so zäh wie wir Gilneer und verdammt gastfreundlich. Ehe du dich versiehst, sitzte bei Tante Juli am Küchentisch und hast 'n Stück Apfelkuchen vor dir, während wir uns überlegen, wie wir den Leichen in ihre gammligen Ärsche treten!“
Er zwinkerte und erhob sich, nicht ohne auch Ameley einen Blick zuzuwerfen. Einen jener Sorte, bei denen der älteren Schwester warm ums Herz wurde.
Eric würde sie führen. Er war ihr auch weitaus lieber als sein älterer Bruder, der eher für seine schmierige Art bekannt war, dem Jüngeren aber in Entschlossenheit in nichts nachstand.
Der Tross bewegte sich weiter gen Durchbruch, eine bunte Sammlung von Männern, Frauen, Kindern, und einigen Hunden. Dazu leichtes Reisegepäck, Waffen, Vorräte.
Alle schwiegen, sogar das Baby hatte es geschafft in den Armen seiner dicklichen Mutter einzuschlafen, an deren Rockzipfel ein kleiner Junge mit Krauskopf und laufender Nase hing. Die sommersprossige Ausgeburt eines Trotzkopfes, dem sie vor Aufbruch noch welche auf die Pfoten gegeben hatte, als er meinte, sich von der Gruppe entfernen zu müssen.
Ameley mochte Kinder nicht besonders, wünschte aber insgeheim, dass alle kleinen Kinder für eine halbe Stunde den Schnabel halten würden und dankte dem Himmel dafür, dass die Mutter mit ihrem Nachwuchs in Gruppe Drei untergrebracht worden war.
Die Reiterpatroullie aus sechs skellettierten Pferden samt ihren verwesenden Reitern, trottete in geschlossener Formation über den Pfad, den sie auf ihrer immer wiederkehrenden Runde am Wall entlang ins Gras gefurcht hatten.
Immer im selben Intervall.
Im Licht der Sonne, die hinter den Bergen versank, wirkte die Szenerie wie in Blut getaucht.
Auf einen Wink von Brian hin, setzte sich sich Gruppe Eins mit ihm an der Spitze in Bewegung, überquerte den Pfad und schlüpfte ungesehen durch einen ansehnlichen Riss in der Mauer aus Stein, welcher hinter einigen Trümmern verborgen war und von den Untoten keine besondere Bewachung zugeteilt bekommen hatte.
Gruppe Eins war außer Sicht, Eric hob die Hand, wechselte dann in eine winkende Bewegung und zog Gruppe zwei als kleinen Tross in Richtung Wall. Einen nach dem anderen winkte er die Leute durch, suchte mit den Augen immer wieder die Umgebung ab. Bis zur nächsten Reiterstaffel konnte es nicht mehr lange dauern.
Ameley verharrte neben Eric, half den Flüchtlingen mit ihrem Gepäck und reichte den älteren eine helfende Hand, wenn sie gebraucht wurde. Als letztes schlüpften sie beide in den Spalt und warteten dort, dicht aneinander gedrängt und den Blick dorthin gerichtet, wo Gruppe Drei auftauchen würde, sobald die Luft rein war.

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Die Reiterstaffel kam, passierte den Riss im Schritttempo. Ameley konnte kaum glauben, wie nah sie den Untoten waren. Die nicht vollständig skellettierten Pferde waren deutlich zu erkennen, wenn auch aus ihrem Winkel nur die Hufe, Beine und unteren Flanken, an denen rostige Plattenstiefel herabhingen, aus denen freie Knie und Oberschenkel ragten, von denen sich das verwesende Fleisch in Streifen bereits herunterschälte. Der Gestank nach Tod und Verfall war atemberaubend.
Das Hufgeklapper verebbte nach und nach wieder und die Zeit, dass die letzte Gruppe durch den Spalt zu schlüpfen hatte, war gekommen. Die ersten Vertreter der Gruppe tauchten über dem Hügelrand auf, zwängten sich zwischen den Bäumen des bewaldeten Gebietes hindurch.
Sie hatten die Entfernung halb zurückgelegt, als ein langgezogener, quälender Laut die sichere Stille durchschnitt. Ameley sank das Herz in tiefere Regionen.
Es war nicht das Baby, das eingehüllt an seiner Mutter Brust schlummerte, es war sein krausköpfiger, älterer Bruder gewesen, der sich auf halber Strecke überlegt hatte, es sei die Zeit gekommen, sich auf den Boden zu schmeißen und seiner Mutter zu zeigen, dass er von der gedrückten Stimmung und dem ewigen leise sein die Nase voll hatte. Dass nicht nur seine Mutter und Gruppe Drei diesen Umstand mitbekamen, wurde anhand des Hufgetrappels und krächzenden Lauten in einer unnatürlichen Sprache deutlich, die sich schnell zu nähern begannen.
„Ame, wir müssen hier weg!“ Eric zischte eindringlich hinter Ameley, packte sie unsanft an Kragen und Schulter und schleifte sie durch den tunnelähnlichen Durchbruch.
„Eric, wir müssen ihnen helfen!“
„Sie sind verloren, komm schon!“
Er packte sie fester und riss dabei kräftig an ihren Haaren, wärend sich unter die gutturalen Laute der Untoten die gequälten Schreie sterbender Menschen mischte.
Hinter dem Wall wurde ein kriegsgezeichnetes Sumpfland sichtbar, leer, öde und in unregelmäßigen Abständen ragten abgestorbene Fichten aus dem Boden, deren traurige Erscheinung alles war, was sie noch im Verborgenen halten würde.
Verdila und die Vorgängergruppen warteten ein Stück weiter zwischen den Bäumen, Eric fuchtelte nur wild mit den Armen, woraufhin knappe Befehle gerufen wurden und die geschrumpfte Meute Hals über Kopf in Bewegung geriet.
Der Tross bewegte sich rasch vorwärts,in gehetzter Eile wurden Gepäckstücke liegen gelassen oder Beutel abgeschnallt. Die Panik, wie die verlorene Gruppe zu enden, gewann Vorrang gegenüber des Hab und Guts. Worum es jetzt ging, war reines Verschwinden von der Frontlinie und das baldige Erreichen von Süderstade.

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